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Luzon

Ausländische Freier kehren nach der Öffnung der Philippinen in die Stadt der Engel zurück

Luzon – Prostitution ist in den Philippinen verboten und dennoch ist das Rotlichtmilieu omnipräsent. Ein Bericht von Matthias Müller für die “Neue Zürcher Zeitung”, ein Augenschein aus Angeles City, wohin die ausländischen Freier langsam wieder zurückkehren.

Das Licht ist schummrig. Auf der verspiegelten Bühne stehen dreißig leicht bekleidete, blutjunge Filipinas. In ihren Blicken liegt eine Mischung aus Leere und Scham. Sie werden wie Produkte präsentiert. Namen haben sie nicht. An ihren Körpern sind stattdessen Nummern angebracht. Zwei Koreaner auf einer Empore trinken ein Bier, starren ausdruckslos vor sich hin und lassen sich auch durch zwei Tänzerinnen, die mit lasziv-akrobatischen Bewegungen versuchen, die Gäste in Wallung zu bringen, nicht aus der Ruhe bringen.

Mekka des Sexgewerbes

“In solch einer Bar arbeitet niemand gern”, sagt Daisy, die sich selbst als Aufsichtsperson bezeichnet. Sie dürfte Anfang vierzig sein. Ihr Alter wie ihren wahren Namen will sie nicht preisgeben. Sie hat lange Haare, falsche Wimpern und trägt ein schwarzes Kleid mit tiefem Ausschnitt sowie hochhackige Schuhe. Daisy arbeitet in Angeles City in der von einem Koreaner betriebenen Bar “Baccara”; die Stadt liegt rund achtzig Kilometer nordwestlich von Manila und verfügt über einen internationalen Flughafen mit Verbindungen zu jenen asiatischen Destinationen wie China, Japan und Südkorea, aus denen viele der Kunden in den einschlägigen Etablissements stammen.

Angeles City eilt in den Philippinen der Ruf voraus, das “Mekka des Sexgewerbes” zu sein. Die in der Provinz Pampanga gelegene Stadt befand sich in unmittelbarer Nähe des einstigen amerikanischen Luftwaffenstützpunkts Clark Air Base, der während des Vietnamkrieges eine wichtige Nachschubbasis in Südostasien war. Und in diesem Umfeld hat sich in den Sechzigern das Sexgewerbe angesiedelt. Nach einem Vulkanausbruch 1991 verließ das amerikanische Militär zwar den Stützpunkt. Das Gewerbe ist jedoch geblieben. Nur die Kunden haben sich gewandelt.

Knallharter Lockdown und die Folgen

Die Pandemie hat in den Philippinen ihre Spuren hinterlassen. Der scheidende Präsident Rodrigo Duterte hat seinem Land einen knallharten Lockdown verordnet. Bis Januar war auch die einige hundert Meter lange Walking Street in Angeles City wie ausgestorben.

“Während der Pandemie standen viele Sexarbeiterinnen aus der Baccara-Bar mit den in den Philippinen verbliebenen Expats per Kurznachrichten in Kontakt und haben sie in Hotels getroffen, um etwas Geld zu verdienen. Andere haben Gelegenheitsjobs angenommen”, sagt Daisy. Sie kenne dagegen keine, die sich im Internet angeboten habe, fügt sie hinzu. Es fehlt das Geld für die Ausrüstung, am technischen Know-how und oftmals gar an einem Bankkonto, auf das sich die jungen Frauen die Entlohnung für ihre Dienste überweisen lassen könnten.

Nun kehren die ausländischen Kunden nach der Öffnung der Philippinen langsam nach Angeles City zurück. Vor den Bars, die “Arabesque”, “Baccara” oder “Lucifer” heißen, warten spärlich bekleidete Filipinas auf Kundschaft. Das Geschäft beläuft sich auf rund 60 Prozent des Vorkrisenniveaus, ist in der Walking Street zu hören.

Die dort lustwandelnden Westler haben sich scheinbar für einen Einheitslook entschieden. Auf ihrem Kopf sprießen kaum noch Haare. Ein kariertes Hemd spannt über dem Bierbauch. Eine kurze Hose sowie Sandalen – wahlweise mit oder ohne Socken – runden das Outfit ab. Manche halten Händchen mit jungen Filipinas, die ihre Enkeltöchter sein könnten, und müssen für eventuelle sexuelle Dienstleistungen wenig bezahlen.

Die jungen Frauen im “Baccara” bekommen einen Tagessatz von 500 Pesos, was rund 9 Franken entspricht. Und gehen sie mit einem Kunden in eines der umliegenden schäbigen Hotels, erhalten sie umgerechnet rund 30 Franken. Bei solch geringen Salären dürfen die Sexarbeiterinnen nicht wählerisch sein und nehmen, was kommt, auch um die Barbetreiber nicht zu verärgern. Sonst sind sie den Job los.

Das Geld haben sie dringend nötig. “Hier geht es um das nackte Überleben”, sagt Daisy. Neun von zehn Mädchen, die im “Baccara” arbeiten, haben bereits ein Kind. “Wenn sie alleinerziehend sind, haben sie sich für den Job entschieden, weil der ihnen flexiblere Arbeitszeiten und ein besseres Salär als in anderen Branchen bietet. Und wenn sie einen Partner haben, schickt der sie auf den Strich”, sagt Daisy. Zu Kinderprostitution und Menschenhandel schweigt sie sich aus.

Erschwerend kommt die philippinische Wirtschaft hinzu. Sie erholt sich nur langsam. Zudem wird alles teurer. Im Mai legten die Konsumentenpreise wegen der gestiegenen Energiepreise und der Abhängigkeit der Philippinen von importierten Düngemitteln, Speiseöl und Weizen gegenüber dem Vorjahresmonat um 5,4 Prozent zu. Solche Preisanstiege treffen die unteren Einkommensgruppen besonders hart.

Polizisten als Nutznießer des rechtsfreien Raums

Die Situation in den Philippinen ist grotesk: Die illegale Prostitution wird offen ausgelebt. Diese Illegalität stellt für die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter denn auch eine immense Gefahr dar. Sie müssen ständig vor dem Hotelpersonal und der Polizei auf der Hut sein.

Nolens volens treiben sie sich mit Freiern an Orten herum, an denen ihnen niemand hilft, wenn sie geschlagen, vergewaltigt oder gar getötet werden. In einer Umfrage gaben drei von vier Prostituierten an, in ständiger Angst vor den Kunden zu leben. Und wenn sie übel zugerichtet oder nicht bezahlt werden, können sie sich wegen ihrer illegalen Handlung an niemanden wenden, um Gerechtigkeit einzufordern.

In solch einem Umfeld blüht Korruption. Manchen philippinischen Polizisten eilt der Ruf voraus, ihre Machtposition gegenüber den ihnen bekannten Sexarbeiterinnen eiskalt auszunutzen. Sie fordern für ihr Schweigen Bestechungsgelder oder sexuelle Dienstleistungen.

Wie korrupt Teile der Polizei sind, zeigt ein Vorfall in der Bar “Baccara”. Ein Freier aus China hatte seine Sexarbeiterin gewürgt. Man verständigte sich schließlich darauf, dass der Chinese eine Entschädigung von 70.000 Pesos an das Opfer und 30.000 Pesos an die Polizei zahlen musste – damit war der Fall im rechtsfreien Raum erledigt. “Die rechtliche Anerkennung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern maximiert ihren Schutz, ihre Würde und ihre Gleichstellung”, fordert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. In den wegen der spanischen Kolonialherren tief katholischen Philippinen sind Prostitution und Sex jedoch Tabuthemen. An eine Legalisierung des Gewerbes ist zunächst nicht zu denken.

Der Traum vom normalen Leben

Auch die Aufpasserin Daisy, die manchmal noch ihren Körper verkauft, um das karge Gehalt aufzubessern, hat schon schlechte Erfahrungen gemacht. «Auf Geheiß meines koreanischen Chefs musste ich mit einem seiner Freunde aufs Zimmer. Der verlangte Sachen von mir, die ich eigentlich nicht machen wollte», sagt sie. Man sieht ihrem Gesichtsausdruck und der Körpersprache an, wie sehr sie das Umfeld und der Job anwidern.

Alternativen hat sie jedoch nicht. Sie ist alleinerziehend und hat eine neunjährige Tochter. Der deutsche Vater lässt sich nicht mehr blicken. “Ich will, dass meine Tochter eine gute Ausbildung und eine bessere Zukunft haben wird als ich. Wir alle träumen in der Walking Street davon, eines Tages ein normales Leben zu führen”, sagt Daisy zum Abschied. Ob es ihnen gelingt, steht in der Stadt der Engel auf einem anderen Blatt. – Neue Zürcher Zeitung/Matthias Müller/RM

2 Comments

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  • Ein gut geschriebender Artikel und leider auch die wahre Realität. Die jungen Frauen können einen nur leid tun

  • Das ist der Preis der Korruption in diesem Land. Präsidenten schaffen Billionen Peso ins Ausland, fast alle Bürgermeister stehlen die Hälfte des von Manila eingesetzten Geldes für Strassenbau und neue Gebäude, ALLE Staatsdiener incl. Polizei sind hochkorrupt und die einfachen Bürger sind die großen Verlierer. Also bleibt keine Wahl, sie müssen auch korrupt sein um zu überleben. Und zu allem Unglück hört auch noch der einzige ehrliche Präsident auf. Was soll aus diesem Land noch werden?