Manila – In den Philippinen ist Abtreibung unter allen Umständen verboten. Verhütungsmittel waren lange erst ab 18 erhältlich, Aufklärung fehlt. – klajoo.com – Wozu das führt, kann man in einem Viertel in Manila sehen.
Happyland ist ein Ort, in den man, wenn man nicht gerade hineingeboren wurde, kaum hineinfindet. An seiner Außengrenze gibt es eine breite Straße wie einen Burggraben, wo Lastwagen beim Vorbeifahren Staub hinter sich herziehen. Daneben baut sich eine Mauer auf aus Hütten und Häuschen mit Vordächern aus Blech, Zelttüchern, unter denen Hunde wachen, Müll, sortiert in Sorten, Plastik, Pappe, Essensreste, Metalle, ganz als seien es zu Bergen getürmte Grenzposten, und überall bunte Plakate, auf denen Politiker Veränderung versprechen, und mit denen die Brüche im Beton der Wohnungen abgeklebt worden sind.
Manila ist eine aus mehreren Millionenstädten zusammengewachsene Multimillionenstadt, 20 Millionen Bewohner, die Hauptstadt der Philippinen. Im Barangay Nummer 105, in Tondo, einem Viertel gedrängt an den Industriehafen der Manila Bay, liegt Happyland. „Hapilan“, das heißt im lokalen Dialekt stinkender Müll, es ist eine bewohnte Müllhalde; es landen dort vor allem die Abfälle der großen Fast-Food-Ketten der Stadt, abgenagte Hühnerknochen, kalter Reis, fermentierter Salat.
Happyland ist ein Ort, an dem sehr viele Mädchen zu Müttern werden. Die Zahl der sogenannten Teenagerschwangerschaften ist überall in den Philippinen hoch, dort aber besonders. Die nationale Kommission für Bevölkerung und Entwicklung hat Teenagerschwangerschaften als „nationalen Notstand“ bezeichnet; in den Jahren 2009 bis 2019 haben demnach 1,2 Millionen Kinder in den Philippinen ein Kind zur Welt gebracht. Etwa 30.000 dieser jungen Mütter seien wiederholt schwanger geworden.
In einem Winkel von Happyland lebt Alondra, die, als sie 16 war und im fünften Monat schwanger, gesagt hat: „Ich werde bald meinen eigenen kleinen Engel haben.“
In einem anderen Winkel lebt Leng, 13 Jahre alt, die, als sie zum ersten Mal die Bewegungen des Fötus in ihrem Bauch spürte, gesagt hat: „Ich werde wirklich eine Mutter sein.“
Die Philippinen haben eines der striktesten Abtreibungsverbote der Welt. Ein Abbruch ist unter keinen Umständen explizit erlaubt. Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden, drohen jahrelange Haftstrafen, ebenso Ärztinnen und Ärzten, die Abbrüche durchführen. Getrieben wird die Gesetzgebung von der katholischen Kirche, die in dem Land massiven Einfluss hat, und der die überwiegende Mehrheit der 110 Millionen Menschen angehört.
Frauenärztinnen sagen, das Abtreibungsverbot habe nicht zu einem Ende der Abbrüche geführt, sondern lediglich zu einem Ende sicherer Abbrüche. Etwa 600.000 Frauen suchen demnach im Untergrund pro Jahr nach Wegen, ein Kind nicht zu bekommen. Wenden sich an selbst ernannte Heiler, nehmen nicht zertifizierte Medikamente zu sich und Eingriffe in Kauf, die ihr Leben bedrohen. Die Zahl an Frauen, die durch eine unsichere Abtreibung jedes Jahr sterben, geht laut Schätzungen des Guttmacher Instituts , eines Thinktanks zu reproduktiver Gesundheit, in die Tausende.
Bischöfe kommen auf die Idee, Befürworter von Kondomen als Terroristen zu bezeichnen. Seit einigen Jahren sind Verhütungsmittel für Frauen frei zugänglich, außer sie sind jünger als 18 Jahre. Wie die philippinische Gynäkologin Junice Melgar von der Organisation Likhaan erklärt, können Minderjährige ohne Einverständnis der Eltern nicht die Pille bekommen. Es habe Fälle gegeben, etwa in Mindanao, bei denen man die Heiratsurkunde zeigen musste, um im Supermarkt eine Packung Kondome zu kaufen.
„Und selbst die geltenden Gesetze sind ständig in Gefahr, von Ultrakonservativen und der Kirche noch weiter zurückgedreht zu werden“, sagt Melgar. Das Unwissen und die Scham rund um Sex, Verhütung und Geburtenkontrolle sind deshalb so groß, dass viele Jugendliche weiter ungeschützt Sex haben.
Alondra sitzt, Ende April, auf einer Holzbank vor ihrer Hütte. Sie trägt rote Leggins und ein pinkes Shirt, auf dem steht, „take up a new habbit, take shopping“. Die Haare hat sie nach hinten gesteckt, sie ist 19 Jahre alt. Sie hat zwölf Geschwister, ist in einer Wohnung nicht weit entfernt aufgewachsen.
Sie erzählt von ihrem Mann, Alfredo, der ein Bauarbeiter sei, drei Jahre älter, und jeden Tag von sieben Uhr morgens bis fünf Uhr abends weg ist. Sie haben sich kennengelernt, da war Alondra 14 und Alfredo zu Besuch.
Sie haben sich gleich geliebt, aber sie haben gar nichts gewusst, sagt Alondra. Als ihre Periode aussetzte, fragte sie sich: Ist das normal? Sie machte einen Schwangerschaftstest. Ging zum Arzt. Sie sagt, sie sei nervös und aufgeregt gewesen. Wie geht Geburt? Mit 16 kommt ihr Sohn zur Welt, Alexander, ihr Engel.
Wie Alondra da auf der Bank sitzt, ein Knie zur Brust gezogen, mitten im Geschehen, im Alltag, lässt nicht vermuten, dass sie, fünf Tage vor unserem Treffen, ihr zweites Baby geboren hat. Dann kommt Alondras kleine Schwester an, selbst Mutter von zwei Kindern, mit einem Bündel in weißen Tüchern. Sie legt es Alondra auf den Arm. Der fünf Tage alte Sohn Aldrin, geboren: 18. April 2022, sieben Uhr früh.#
Alondra, Alfredo, Alexander, Aldrin. Sie sind jetzt vier.
Die Geburt sei diesmal heftiger gewesen, sagt Alondra. Ihre Schwester habe sie ins nächste öffentliche Krankenhaus gebracht. Seit zwei Tagen hat Alondra ein Hormonpflaster am Oberarm. Das hat ihr die lokale NGO (Non Governmental Organisation) Likhaan gegeben. Es funktioniert wie eine Pille, verhindert eine weitere Schwangerschaft.
Alondra sagt: „Ich hätte das Pflaster schon vorher haben können; aber meine Familie sagt, es gehöre dazu, erst einmal Kinder zu bekommen, wenn man mit einem Mann zusammenlebt.“
Seit der Pandemie sei ihr Geld so knapp geworden, dass sie sich ein weiteres Kind erst einmal nicht leisten könnten, sagt Alondra. Ihr Mann verdient 3.000 Pesos pro Woche, das sind 50 Euro. Sie leihen sich Geld. Niemand habe mit ihr je über Verhütung gesprochen, und sie habe sich nicht getraut, danach zu fragen; dann kam die NGO nach Happyland. Jetzt trügen viele ihrer Freundinnen so ein Pflaster am Arm.
Die Leute von Likhaan haben in Happyland eine kleine Krankenstation bezogen, in der sie Aufklärung betreiben, Check-ups, Urin- und Bluttests durchführen. Sie sagen, ihre größte Schwierigkeit sei, die Mädchen in Happyland von den Hormonpflastern oder anderen Verhütungsmitteln zu überzeugen, bevor sie zum ersten Mal schwanger seien. Ihnen klarzumachen, dass ein Baby mit 13 oder 16 oder 18 bedeute, dass man die Schule nicht fertig machen, den Beruf nicht anfangen könne. Kein Geld verdiene, keine Freiheit bekomme.
In Happyland seien viele der Meinung: Einen Freund haben bedeute, dass man schwanger wird. Viele Ältere sagten den Jugendlichen: Ein Kind bekommen sei ein Geschenk Gottes, das es anzunehmen gelte. Die jungen Männer fänden: dass es zum Mannsein gehöre, ein Kind zu haben.
Was niemand sagt: Schwangerschaft und Geburt sind für minderjährige Mädchen, mit ihren noch nicht ausgewachsenen Körpern, unfassbar gefährlich. Sie zählen zu den Haupttodesursachen in dieser Altersgruppe.
Leng, ein Mädchen, von dem in der Nachbarschaft viele sagen, sie sei ein schönes Mädchen, sagt, sie habe rein theoretisch gewusst, dass sie schwanger werden kann. Aber sie habe nicht verhütet, weil sie nicht gewusst habe, wie man verhütet.
Leng ist 13 Jahre alt, sie geht in die sechste Klasse. Sie sagt, sie ist froh, dass der Unterricht wegen Corona immer noch online stattfindet, denn was wäre, sähen ihre Klassenkameraden ihren Bauch?
Leng ist im sechsten Monat schwanger, als sie uns im April in ihre Wohnung bittet. Ende Juli soll das Baby zur Welt kommen. Es ist die Hütte ihres Freundes Jasper, der 19 ist, sie leben in einem Zimmer im oberen Stockwerk. Leng muss viel sitzen, weil ihr die Hitze in dieser Phase der Schwangerschaft zusetzt. Sie schwitzt. Unter ihrem roten Shirt zeichnet sich der Bauch ab.
Es gibt in dem Raum ein Stockbett im einen Eck, eine Toilette mit Vorhang davor im anderen; das, was das Paar besitzt, haben sie mit Schnüren an die Decke gehängt. Der Raum ist dunkel und stickig. An der Tür hängt ein großes Holzkreuz. Es führen Stiegen hinauf in den Raum, Leng hat inzwischen Schwierigkeiten, sie zu nehmen, deshalb geht sie kaum noch raus.
Leng hat Angst, dass die Leute reden: Sie ist 13. Sie ist schwanger. Wie damals ihre Mutter, die auch so jung ihr Kind zur Welt brachte. Sie hatte Angst, wie ihre Eltern reagieren würden. Deshalb ist sie, nachdem ihre Menstruation aussetzte und der Test positiv anzeigte, zu ihrem Freund gezogen. Dessen Eltern dulden das Paar, sie akzeptieren die Partnerschaft.
Jasper sagt, er habe geweint, als er hörte, er werde Vater. Er sei nervös und glücklich gleichermaßen, und stolz, das auch. Er wolle viel arbeiten, damit seine Familie über die Runden komme. Sie bekommen Babysachen geliehen, die sie am Fensterbrett sammeln: ein Fläschchen, ein paar Tücher, ein Onesie.
Laut der Weltgesundheitsorganisation brechen Mädchen, die vor dem 18. Lebensjahr schwanger werden, häufiger die Schule ab, bekommen seltener eine Anstellung. Sie sind mit größerer Wahrscheinlichkeit Gewalt in der Ehe oder Partnerschaft ausgesetzt.
Leng sagt, sie sei noch immer nicht an den Gedanken gewöhnt, bald eine Mutter zu sein. Sie wollte eigentlich erst mit 20 ein Baby. Sie sagt, sie wollte Stewardess werden, weggehen und die Welt sehen. Singapur vor allem, weil sie gehört hat, es sei dort wunderschön. Leng sagt, sie hätten nie darüber nachgedacht, das Kind nicht zu bekommen.
Sie sagt: „Ich habe so große Angst vor der Geburt.“
Es gibt in dieser Geschichte viele Vielleichts. Würde eine Dreizehnjährige, wenn sie die Wahl gehabt hätte, keine Mutter werden, oder vielleicht erst später? Würde sie anders über die Zukunft nachdenken und was sie damit anfangen kann, wenn Menschen, die auf den Philippinen die Macht haben, sie ließen? Vielleicht würde sie dann den Weg rausfinden aus Happyland.
Sich auf den Weg zu machen zu Alondra und Leng, über mit Pappe befestigten Boden, bedeutet, sich irgendwann auch eine unerhörte Frage zu stellen: Ist die Geburt eines kleinen, neuen, eigenen Kindes besonders dort so wirkmächtig, wo alles, was man je zu fassen bekommen hat, gebraucht, beschmutzt, geliehen ist?
Sicher ist, dass Alondra und Leng um die Chance betrogen worden sind, eine der wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens wirklich selbst zu treffen. – Spiegel/RM
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